Auch wäh­rend der Coro­na-Zei­ten ist nie­mand eine Insel

Lisa ist 14 Jah­re alt und ein Schei­dungs­kind. Sie darf jeden Monat zu ihrem Vater. Auch die Feri­en darf sie bei ihm ver­brin­gen. Lisa möch­te unbe­dingt ein­mal Feri­en am Meer, am liebs­ten auf einer Insel machen.

Gün­ther, ihr Vater, ist zunächst nicht begeis­tert, aber Lisa weiß, wie sie ihren Vater um den Fin­ger wickeln kann. Und tat­säch­lich sagt ihr Vater zu ihr: „Eine gute Bekann­te wird uns dem­nächst die Feri­en auf einer Nord­see­insel organisieren.“

Es ist Coro­na-Zeit. Gün­ther muss ins Home-Office aber er kann von über­all arbei­ten. Als Lisa ihn anrief und sich beklag­te, dass sich lang­weilt mach­te ihr einen Vor­schlag. Er kön­ne sich vor­stel­len auch auf einer Insel sein Home­of­fice zu ver­le­gen, Lisa sag­te sofort zu und bereits nach ein paar Tagen waren sie schon unter­wegs mit dem Auto.

Wäh­rend der Fahrt erzählt er von einer guten Freun­din. Ani­ta wird ihnen in vie­len Din­gen hel­fen. Lisa, die zwei und zwei zusam­men­zäh­len kann, grinst und fragt ihren Vater: „Die Ani­ta ist doch Dei­ne Freun­din, gell?“ Als Gün­ther kei­ne Ant­wort gibt meint Lisa lachend: „Papa, das ist doch kein Pro­blem, wenn Du eine Freun­din hast, ich habe nichts dage­gen.“ Gün­ther ist erleich­tert und lächelt.

Als sie mit der Fäh­re auf der Insel ankom­men, zeigt Gün­ther auf eine Frau, die am Kai steht und sagt: „Schau, die Dame dort mit der pink­far­be­nen Hose, das ist Ani­ta.“ Lisa denkt für sich, aha, das wird also ein Urlaub zu dritt. Sie fin­det Ani­ta, die eini­ge Jah­re jün­ger ist als ihre Mut­ter, nett und witzig.

Es sind nur eini­ge Höfe auf der Insel, es wird Land­wirt­schaft betrie­ben und es gibt noch kei­ne Mas­ken­pflicht. Die Luft ist kühl und ange­nehm. Vor allem kei­ne lär­men­den Straßen.

Die Unter­kunft ist ein klei­nes frei­ste­hen­des Häus­chen mit einem rie­sen­gro­ßen Gar­ten. Lisa freut sich, sie bekommt ihr eige­nes Zim­mer. Von dort aus kann sie das Meer sehen und das Rau­schen der Wel­len hören.

Ani­ta und Lisa berei­ten das Abend­brot vor. Lisa erzählt Ani­ta lachend, dass ihr Papa auf der Fäh­re see­krank und ihm schlecht gewor­den sei. Dar­auf­hin fragt Ani­ta: „Könn­te es sein, dass er ein­fach Angst vor der gro­ßen Wei­te des Mee­res hat?“ Lisa staunt über die­se Ant­wort und sagt lei­se: „Ach, viel­leicht sind wir des­halb in den Feri­en nie auf eine Insel gefahren.“

Ani­ta fin­det eine uralte Näh­ma­schi­ne auf dem Dach der per Fuß Pedal in Gang gesetzt wird. Lisa hat so etwas noch nie gese­hen und fin­det die­se Erfin­dung geni­al. Ani­ta näh­te eini­ge Mas­ken und brach­te Lisa das Nähen bei. Gün­ter beschäf­tig­te sich mit den alten Land­wirt­schaft­li­chen Gerä­ten und fand ver­gnü­gen bei der Handarbeit. 

Nach­dem sie gemein­sam das gute Abend­essen genos­sen haben, betrach­ten sie besinn­lich den schö­nen kla­ren Sternenhimmel.

Irgend­wann fragt Lisa: „War­um müs­sen die Erwach­se­nen sich eigent­lich strei­ten und sich tren­nen?“ Gün­ther sagt dar­auf nichts, son­dern starrt nur ins Gras.

Ani­ta räus­pert sich und ant­wor­tet: Weißt Du, nie­mand ist eine Insel aber wir Men­schen möch­ten  manch­mal eine Insel sein. Wir sind ver­schie­den wie Ebbe und Flut. Manch­mal wol­len wir gesel­lig, manch­mal lie­ber allei­ne sein.

Aller­dings gehö­ren Ebbe und Flut untrenn­bar zusam­men, was bei uns Men­schen häu­fig nicht der Fall ist. Ande­rer­seits bricht bei einem hef­ti­gen Sturm oft ein­mal etwas von einer Insel weg und ist für immer ver­lo­ren. Genau­so zer­bre­chen Din­ge zwi­schen zwei Men­schen im Sturm des Lebens. Dann wol­len wir nicht ein­mal mehr mit­ein­an­der reden, um Miss­ver­ständ­nis­se aus dem Weg zu räumen.

Lisa und Gün­ther sind ganz still gewor­den und den­ken dar­über nach.

„Oh ja“, ant­wor­tet Lisa begeis­tert. „Weißt Du Papa, wir gehen am Strand entlang.

„Pri­ma, meint Gün­ther, da kön­nen wir bestimmt auch vie­le Muscheln sam­meln“ und freut sich wie ein fröh­li­cher Junge. 

Ani­ta und Lisa schau­en sich bei­de an und lächeln.

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